Zwischen sakral und jazzig

„Händel Visions“

Grenzgebiete sind unbetretenes Niemandsland.In dieser Wildnis blühen manchmal die schönsten Blumen. In der Musik ist es genau so: Das Jazz-Duo Timm-Brockelt findet an den Grenzenzwischen sakraler Orgelmusik und weltlichem Jazz ungehört-schöne Klänge. Am Donnerstag stellte das Leipziger Duo seine „Händel Visions“ im Rahmen der Händelfestspiele in St. Johannis vor.
Die Orgel faucht und das Saxophon schreit, wenn David Timm und Reiko Brockelt Schumanns liebliche „Träumerei“ zum dramatischen Albtraum steigern. Doch das Duo kann auch anders: Bei einem Choral zerfließen sie vor Gefühl.
Richard Wagners „Tristan“ spielen sie augenzwinkernd mit Tango-Schmalz und Klezmer-Schalk. Eine Sarabande von Georg Friedrich Händel würdigen sie dagegen sehr ernst und introvertiert.
Schwarz gekleidet spielen die Musiker auf der Empore – stets in Blickkontakt. Die musikalische Heimat der Instrumentalisten hört man beim ersten Ton: Brockelt klingt aus dem Altsaxophon stets nach dem Bebop-Gott Charlie Parker. Organist Timm ist klassisch geschult – verleiht dem Atem der Orgel aber einen groovenden Puls.
Die klassischen Komponisten geben die Form. Viel lassen die Musiker vom Original nicht übrig. Sie fantasieren das Werk in Jazz-Manier weiter und formen mit selbst gefundenen Klängen ihre eigene Musik daraus. Wo die Genres verschmelzen fühlen sie sich am wohlsten und holen so die alten Werke ins Hier und Jetzt.
Als die virtuosen Musiker abschließend ein Orgelwerk von Johann Sebastian Bach huldigen, bringen sie es noch einmal auf den Punkt: Improvisierend und voller Energie landen sie genau dort, wo sie die Grenzen von Klassik und Jazz überschneiden. Das Publikum aplaudiert begeistert. Gelobt sei das Niemandsland.

von Udo Hinz, Göttinger Tageblatt 16.5.2012

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